22. Spieltag (#bocd98): „Ein ganz wichtiges Signal an Team und Umfeld.“

Als die Lilien in der Hinrunde auf den VfL Bochum trafen, da hatte Torsten Frings gerade seinen Arbeitsvertrag verlängert. Drei Monate später durfte der Ex-Profi seine Sachen packen. Noch turbulenter geht es allerdings beim Revier-Klub zu. Mehrere Trainer, ein geschasster Kapitän und eine sportliche Leitung in Erklärungsnöten. Kein Wunder, dass der selbsternannte Aufstiegskandidat in der Kritik steht. So war in Zeitungen von „VfL-Chaos“ zu lesen und „Ein Klub zerlegt sich selbst“.  Und das war noch vor der Entlassung von Christian Hochstätter und Jens Rasiejewski!

++++++++++Der Beitrag wurde nach dem doppelten Rausschmiss von Hochstätter und Rasiejewski am Mittwochabend ergänzt.++++++++++

So sieht’s aus:

Tja, was soll man sagen? Die Lilien haben ihren Dreier aus St. Pauli gegen Duisburg nicht veredeln können. Stattdessen ließen sie sich am Sonntag von selbstbewussten und hellwachen Gästen die Butter vom Brot nehmen. Das Pendel der Partie hätte zwar genausogut in Richtung der 98er ausschlagen können, doch letztlich hatte der MSV ein wenig mehr Glück, machte weniger Fehler und zeigte sich im Abschluss konsequenter. Beim 0:1 machte die SVD-Abwehr den Weg frei und zwang Ahmet Engin förmlich zum Torerfolg. Kurz vor Schluss setzte Stanislav Iljutcenko ebenso gedankenschnell wie vehement nach und netzte zum alles entscheidenden 1:2 ein. Dass Lilien-Neuzugang Slobodan Medojevic den vorausgegangenen Freistoß – bei eigenen Ballbesitz (!) – verursachte, indem er sich am Schiedsrichter „vergriff“, machte ihn zum Deppen des Spiels. Ein Remis hätte zwar keine Jubelstürme ausgelöst, die Lilien aber immerhin auf Platz 14 geführt. So bleiben sie nach der vierten Niederlage aus den letzten fünf Heimspielen auf ihrem Abo-Platz 16.

Letztlich konnten die Lilien noch von Glück reden, dass die meisten anderen Teams im Tabellenkeller ebenfalls Federn ließen. Andererseits hätte man eben diesen Sachverhalt nutzen sollen, um dem zarten Aufschwung unter Dirk Schuster Nachdruck zu verleihen. So drängt sich der Eindruck auf, dass der Abstiegskampf tatsächlich ein mächtig zähes Unterfangen bleibt. Sicher, die Mannschaft präsentierte sich engagiert. Aber nach hinten unterliefen einfach ein paar Patzer zu viel und vorne fehlte der Dosenöffner. Erst recht, als der starke Joevin Jones im Verlauf der zweiten Halbzeit etwas abbaute. Selbst die Standards stechen vorne derzeit nicht, während sie hinten – wie beim 1:2 – immer mal schlecht verteidigt werden.

Nun geht es am Freitagabend zum richtungsweisenden Spiel nach Bochum. Verlieren die Lilien, bauen sie den Kontrahenten nach vier Pflichtspielniederlagen auf und bleiben selbst bis auf Weiteres im Keller. Gewinnen sie, überholen sie den Westklub und können endlich wieder die Abstiegszone hinter sich lassen. Stattdessen würden die ehedem „Unabsteigbaren“ in ihrem inzwischen achten Zweitligajahr Gefahr laufen, aus dem Unterhaus zu purzeln. Sollte es tatsächlich dazu kommen, dann würde sich der VfL erstmals seit über einem halben Jahrhundert in der Drittklassigkeit wiederfinden.

Um genau das zu verhindern, justierte der NRW-Klub am Mittwochabend zum wiederholten Mal nach … und zwar fundamental. Sportvorstand Christian Hochstätter musste ebenso seinen Hut nehmen, wie der dritte Trainer der laufenden Saison, Jens Rasijewski. Insbesondere die Trennung von Hochstätter – der am Montagabend bei einer Fanveranstaltung einige Interna zum Besten gegeben haben soll – dürfte das Umfeld beschwichtigen. So führte ein persönlicher Zwist zwischen Hochstätter und dem langjährigen Kapitän Felix Bastians zum Wechsel des Spielers nach China. In den letzten Wochen geriet der Klub immer tiefer in den Schlamassel, sowohl sportlich wie in der Außendarstellung und wohl auch im Binnenverhältnis. Nun rücken mit Heiko Butscher (Trainer) und Sebastian Schindzielorz (Sportvorstand) zwei langjährige und verdiente Spieler auf die vakanten Positionen. Diese Personalien sollen sicher auch den Schulterschluss mit den Fans herbeiführen und – wie es in der VfL-Pressemitteilung am Mittwochabend hieß – alle Kräfte vor der Partie gegen die Lilien bündeln. Ein Unterfangen das Aufgehen dürfte und den SVD in allen Belangen fordern wird. Denn da wittert jemand Morgenluft. Da heißt es gegenzuhalten! Es wird knistern im Ruhrstadion!


Der Kontrahent hat das Wort:

Philipp schreibt seit ein paar Jahren für das Online-Fußball-Magazin Westline über den VfL. Auch auf Twitter ist Philipp mit Einschätzungen zum VfL unterwegs. Nach der Doppel-Entlassung haben wir uns noch einmal kurz für eine neue Einstiegsfrage ausgetauscht.

Philipp, Paukenschlag zum Mittwochabend. Die Sportliche Leitung und der Trainer müssen nur 45 Stunden vor dem Spiel gegen Darmstadt gehen. Was sagst Du dazu?
Der Schritt war alternativlos. Dass sich die Vereinsspitze dazu entschlossen hat, die beiden jetzt freizustellen, kam sicher etwas überraschend. Doch in der Sache war es längst überfällig. Nun herrscht ein Gefühl, dass ein Neuanfang greifbar scheint, den sich viele gewünscht haben. Vor dem Spiel gegen Darmstadt ist das ein ganz wichtiges Signal an das Team, aber auch an das Umfeld. Es wird somit nun keine Ausreden mehr geben, am Freitag nicht ins Stadion zu kommen.

Als der VfL in der Hinrunde am Böllenfalltor einen Rückstand in einen Sieg drehte, da glaubte ich noch, man müsse ihn für ganz vorne auf dem Zettel haben. Warum konnte die damals starke Leistung aus der zweiten Hälfte nicht konserviert werden?
Die Mannschaft sollte um den Aufstieg mitspielen. Jetzt kämpft sie darum, den Sturz in die 3. Liga zu verhindern. Die Unruhe im Verein und im Umfeld belastet natürlich auch die Spieler. Wenn es fast wöchentlich neue Baustellen gibt, kann man nicht ungestört arbeiten. Und das hat natürlich Einfluss auf die Leistungen.

War die von Anfang an hohe Erwartungshaltung auch der Grund dafür, dass der junge Coach Ismail Atalan im Oktober nach nur 91 Tagen gehen musste?
Die Ausgangslage für ihn war denkbar ungünstig. Er hat die Mannschaft nach der Entlassung von Gertjan Verbeek erst zweieinhalb Wochen vor dem Saisonstart übernommen. Die Leistungen unter seiner Führung waren bis auf sein letztes Spiel in Kiel (0:3) zwar immer ordentlich bis gut und sogar deutlich attraktiver als jetzt, aber es fehlten die notwendigen Punkte. Christian Hochstätter hat dann sehr schnell – zu schnell, wie ich finde – die Empfehlung abgegeben, sich von Ismail Atalan zu trennen. Das kam durchaus überraschend, da Hochstätter in anderen Fällen (Neururer, Verbeek) meiner Ansicht nach eher zu spät eingegriffen hat.

Kapitän Felix Bastians überwarf sich mit Hochstätter und spielt inzwischen in China. Das wäre fast so, als sei Aytac Sulu bei den Lilien vom Hof gejagt worden. Wie ist diese Personalie zu verstehen?
Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn ein Leistungsträger und Publikumsliebling, der sich mit dem Verein derart identifiziert, mitten in der Saison geht. Er begründet seinen Abgang ja ausschließlich mit seinem zerrütteten Verhältnis zu Hochstätter. Bastians‘ forsche Art und Hochstätters Dasein als Alphatier passten einfach nicht mehr zusammen. Die Trennung war vermeidbar und tut nicht nur sportlich sehr weh. Dem VfL brach eine Identifikationsfigur weg.

Jens Rasiejewski holte aus seinen ersten acht Partien 13 Punkte und verlor dabei nur einmal. Die letzten vier Partien verlor er allesamt und schon ist er weg. Tat man ihm da nicht unrecht?
Er hatte es nicht leicht, ganz klar. Als er im Oktober zunächst als Interimstrainer installiert wurde und dann im Dezember zum Chef befördert wurde, waren viele Fans schon skeptisch. Offenbar auch die Vereinsführung, die intern über verschiedene externe Kandidaten diskutiert hatte. Volle Überzeugung sah jedenfalls anders aus.
Die Zweifel wurden zuletzt mit jeder Niederlage natürlich größer. Aus meiner Sicht gab es im Zusammenhang mit Rasiejewski zwei große Probleme: Zum einen fehlte ihm die Ausstrahlung, die zupackende und gewinnende Art, die gerade im Ruhrgebiet sehr wichtig ist. Zum anderen traf er sportlich immer wieder nicht nachvollziehbare Entscheidungen, die nicht nur die Fans irritieren, sondern auch die Mannschaft. Rasiejewski ist hochintelligent, ruhig und sachlich. Aber er war nicht der richtige Coach für diese Situation.

Der VfL verfügt mit rund 30 Profis über einen großen Kader. Im Sommer holte man gestandene Spieler, im Winter nun drei Jungprofis bzw. Talente. Angesichts des Saisonverlaufs hätte man das Gegenteil erwartet. Wie wurde die Transferpolitik im Umfeld aufgenommen?
Kritisch. Im Sommer hatte nicht nur Hochstätter gedacht, dass der Kader über die Qualität verfügt, oben anzugreifen. Aber es reicht eben nicht, gute Einzelspieler zu verpflichten, es muss ein Team zusammenwachsen.
Gerade die Transferpolitik der letzten Wochen ist nur sehr schwer nachzuvollziehen. Aus meiner Sicht wurde der Kader im Winter nicht verstärkt, sondern (entscheidend) geschwächt. Schließlich hat mit Felix Bastians ein absoluter Leistungsträger den Verein verlassen, ohne dass ein passender Ersatz verpflichtet wurde. Auch das Offensivproblem – der VfL hat in 21 Partien nur 18 Tore erzielt – wurde nicht gelöst.

Besten Dank für Deine Antworten, Philipp.


Auf die Ohren: Der Lilien-Podcast

Am Montagabend durften die Jungs ohne mich auskommen. Aber auch so haben sie die Niederlage gegen den MSV seziert, einige Personalien diskutiert und das anstehende Duell gegen Bochum unter die Lupe genommen: KLICK.


Gleiche Liga, gleicher Spieltag: Saison 2014/15

Quelle: kicker