32. Spieltag (#d98fcu): „Entscheidend dürfte sein, was Darmstadt in dem Spiel vorhat“

Eisern Union kommt nach Darmstadt. Beim letzten Gastspiel am Bölle holten sich die Berliner vor drei Jahren eine empfindliche 0:5-Klatsche ab. Ein Resultat, mit dem am Samstag beim besten Willen nicht zu rechnen ist. Dafür sind die Baustellen im Offensivspiel der 98er viel zu groß und der Druck des Gewinnenmüssens ohnehin.

So sieht’s aus:

Eigentlich kann ich hier Woche für Woche das immer Gleiche erzählen. Die Mannschaft will, die Mannschaft versucht alles (okay, in Sandhausen erst in Halbzeit 2), doch mit dem Können im Aufbau- und Umschaltspiel sowie im Chancen kreieren, da ist das so eine Sache. Und wenn dann der Gegner – wie in Sandhausen – noch auf die Idee kommt, als erstes ein Tor zu schießen, dann muss der SVD schon einen enormen Krafakt vollziehen, um wenigstens noch einen Punkt zu ergattern.

Deshalb lautet die Vorgabe für das Union-Spiel am Samstag wie schon so oft: In Führung gehen, hinten alles abrufen und vielleicht noch als Kirsche auf der Sahnetorte einen Konter erfolgreich abschließen. Mit dann 37 Punkten wäre das Unternehmen Klassenerhalt weiter am Leben. Mit einem Remis und 35 Punkten schon weniger. Eine Niederlage verböte sich natürlich von selbst. Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass ein Sieg nach drei Remis infolge Balsam für die Fanseele wäre und obendrein ein deutliches (Ausrufe)Zeichen im Abstiegskampf.

Personell müssen die 98er nach wie vor auf die Langzeitverletzten Peter Niemeyer und Baris Atik verzichten, Yannick Stark dürfte ebenfalls noch keine Option darstellen.


Der Kontrahent hat das Wort:

Sebastian ist fester Bestandteil des Union-Blogs und -Podcasts Textilvergehen. 2016 vergab die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur den Titel „Fußball-Blog des Jahres“ an die Berliner. Neben dem wöchentlichen Podcast veröffentlichen Sebastian und ein weiterer Mistreiter täglich den „State of the Union“. Und jetzt holt ihr euch am besten ein Kaltgetränk, Sebastian hat einiges zu erzählen:

Sebastian, kurz nach der Hinrundenbegegnung unserer Klubs wurde Jens Keller entlassen. Ganz ehrlich, die offizielle Version mit dem Verweis auf eine nicht überzeugende Spielweise und fehlenden Ergebnissen klang ein wenig halbgar. Was war für eure Crew der wahre Grund, ihn vor die Tür zu setzen?
Das ist sicher so, dass die offizielle Version halbgar klang. Aber für mich war das eine Entscheidung, die schon etwas mehr war als die häufig gehörte hämische Frage: „Wie können die nur ihren Trainer entlassen, obwohl sie auf Rang 4 stehen?“ Die Spielweise des Teams unter Jens Keller war in dieser Saison selten überzeugend oder dominant. Das hatte schon Ende der Rückrunde der vergangenen Saison begonnen. Und gemessen daran, dass der Verein im Sommer Angebote für Spieler im Wert von insgesamt über 10 Millionen Euro abgelehnt hat, um das Ziel Aufstieg nicht zu gefährden, war die Zündschnur bei den Verantwortlichen etwas kurz. Unser Wunsch war es im Sommer, dass Jens Keller ein zweites Spielsystem neben dem radikalen Gegenpressing etabliert, das mehr auf Spielkontrolle ausgelegt ist. Einfach um Führungen gut verwalten zu können. Das ist ihm nicht gelungen.
Sportgeschäftsführer Lutz Munack hat die Entlassung damals maßgeblich vorangetrieben und nicht wenige Unionfans werden sich gefragt haben: „Lutz wer?“ Denn obwohl er schon fast zwei Jahre im Amt war, ist er vorher faktisch null öffentlich in Erscheinung getreten. Ich kann die Argumente für die Entlassung zwar nachvollziehen, auch wenn wir wie die Mannschaft wahnsinnig davon überrascht waren. Ich bin allerdings auch der Überzeugung, dass es genauso mit Jens Keller einen Weg aus der Situation gegeben hätte. Was ich bis heute nicht nachvollziehen kann, ist die Entscheidung für André Hofschneider als dessen Nachfolger.

In der Tabelle habt ihr unter Hofschneider den Rückwärtsgang eingelegt, so dass Kellers Entlassung wie ein Eigentor anmutet. Wie sehr ärgert es dich, dass just in einer Spielzeit, in der vergleichsweise wenig Punkte benötigt werden um vorne mitzuspielen, Union nicht zur Stelle ist?
Ganz ehrlich? Ich könnte kotzen. Mit der Punktzahl vom vergangenen Jahr wäre Union in dieser Spielzeit direkt aufgestiegen. Und selbst mit einer Schwächephase von zwei bis drei Monaten wäre dieses Jahr der Aufstieg noch drin gewesen. Aber nun dauert die sportliche Krise bei Union schon über ein halbes Jahr. Da können wir am Ende alle froh sein, dass der Verein nicht noch absteigt. Eigentlich ein Wahnsinn. Ich bin froh, wenn die Saison vorbei ist. Das ist alles sehr anstrengend.

Vor dem vorletzten Spieltag lag Union auf dem letzten Platz der Rückrundentabelle. Wie groß war der Schock, als bei St. Pauli dann auch noch Marvin Friedrich des Feldes verwiesen wurde, und wie groß waren die Steine, die nach dem Sieg in Unterzahl vom Herzen fielen?
Es ist nicht so, dass Union die Spiele unter André Hofschneider hoch verloren hätte. Häufig war das Team optisch überlegen. Aber irgendein Unglück kam immer dazu. Wie in Kaiserslautern, als sich Sebastian Polter, Zielspieler und so etwas wie der Aggressive Leader, beim Aufwärmen die Achillessehne reißt, mit Michael Parensen sich im Spiel ein weiteres Mentalitätsmonster länger verletzt und Union verliert, weil unser Keeper Daniel Mesenhöler kurz vor Ende einen Pass zum gegnerischen Stürmer spielt. Das war ein Schock. Gegen St. Pauli war das dann bis zum Tor für Union die übliche Dramaturgie. Da fiel der Platzverweis eher in die Kategorie: „Auch das noch“. Die Erleichterung danach war unglaublich. Denn ehrlich gesagt haben wir alle keine Lust, dass es am letzten Spieltag in Dresden sowohl für Union als auch für Dynamo noch um den Klassenerhalt geht.

Noch seid ihr nicht aller Abstiegssorgen ledig. Wie zermürbend ist es, dass partout kein Befreiungsschlag gelingen will. Zuletzt gab es in sechs Partien vier Remis, zuletzt zuhause gegen Heidenheim.
Unter André Hofschneider gab es in 16 Spielen nur drei Siege. Mit dem Sieg bei St. Pauli hat er gerade einmal so die Marke von einem Punkt pro Spiel erreicht. Wenn an ihn nur ansatzweise die gleichen Maßstäbe angelegt würden wie an Jens Keller … Lassen wir das. Es ist das erste Mal, seit ich bei Union bin, dass ich richtig in Opposition zu einer Trainerverpflichtung stehe. Aber ich habe mich damit abgefunden, dass er bis Saisonende bleibt. Auch weil kurioserweise in Zeiten vieler junger Trainer die Alternativen auf dem Markt schmal sind. Aber es würde mich wahnsinnig überraschen, wenn er zur neuen Saison weiterhin Cheftrainer bei Union ist.

Ist seine Personalie dann auch eine Erklärung dafür, dass das Team unter seinen Erwartungen blieb?
Da gibt es viele Erklärungen, die sich im Nachhinein finden lassen. Die fehlende Etablierung eines zweiten Spielsystems unter Keller hat ein bisschen die Grundlage für einen Teil der Probleme gelegt. Denn der Kader ist auf Gegenpressing ausgelegt und hat eine Schwäche im defensiven Mittelfeld beziehungsweise im Aufbau aus der Abwehr heraus, wenn auf lange Bälle verzichtet werden soll.
Aus der Distanz betrachtet fehlt der Mannschaft der Glaube, dass sie mit Hofschneiders Spielweise, die viel auf Ballbesitz ausgelegt ist, erfolgreich sein kann. Das fängt schon damit an, dass am Tag von Kellers Entlassung Spieler gemeinsam entsetzt das Büro der sportlichen Leitung gestürmt haben, weil sie nicht verstanden, was da los ist. Dann wurde im Winter der Keeper von Jakob Busk zu Daniel Mesenhöler gewechselt, vor ein paar Spielen machte der Trainer das wieder rückgängig, dann verletzte sich der reaktivierte Busk aber, so dass der gerade degradierte Mesenhöler bis zum Saisonende im Tor steht. Und das alles mit dem Wissen, dass beide Keeper quasi gleich gut sind. Der Trainer macht sich da aus meiner Sicht unnötige Baustellen auf und sorgt für zusätzliche Verunsicherung. Auch zwischendurch mit Toni Leistner einen der besten Innenverteidiger auf die Bank zu setzen, augenscheinlich nur weil dieser seinen Vertrag nicht verlängern möchte, spricht nicht für ein glückliches Händchen.
Ich finde Hofschneiders‘ Personalführung fragwürdig. Er sieht zwar deutlich älter aus, ist aber erst 47 Jahre alt. Wenn man sich jedoch anhört, was er so äußert, dann klingt das, als ob er schon Mitte 60 wäre und die heutige Spielergeneration nicht versteht. Ich finde das alles sehr befremdlich. Am Ende kam mit dem langsamen Sinkflug in der Tabelle noch Angst hinzu. Ein Thema, das fast die gesamte Liga betrifft. Alle wollen vor allem Fehler vermeiden und nicht verlieren.

Am Samstag fällt Kapitän Felix Kroos wohl aus. Die Verletzung von Sebastian Polter hast Du bereits erwähnt. Damit fehlen zwei große Namen. Wer sind stattdessen die Leistungsträger bei den Rot-Weißen?
Nun ja, Union ist nicht der 1. FC Kroos. Es gibt neben ihm – der sicher zu den Spielern gehört, die vom Trainerwechsel profitiert haben – auch noch andere herausragende Spieler. Der mit Abstand beste Spieler aus meiner Sicht ist Steven Skrzybski, der sich auch in Zeiten der Krise des Teams in herausragender Form befand. Für mich ist er aktuell der Unterschiedspieler im Kader, der sowohl was Ballmitnahme, Torabschluss und das Erspüren von Passwegen betrifft auf konstant hohem Niveau spielt. Es würde mich sehr wundern, wenn er nächste Saison nicht Bundesliga spielt.
Daneben gibt es offensiv auch noch Simon Hedlund, der technisch sehr gut ist, aber zu wenig in Abschlusspositionen kommt. Die Außenverteidiger mit Kristian Pedersen und Christopher Trimmel sind ebenfalls bemerkenswert. Nur fehlt ihnen im Spielsystem von Hofschneider, wo sie häufig als alleinige Außenspieler vor der Dreierkette agieren, der Anschluss zur Offensive. Defensiv ist Union stabiler geworden, wenn auch zulasten einer offensiven Durchschlagskraft. Insgesamt finde ich, dass Felix Kroos vor allem als ordnende Hand im Spiel fehlen wird. Aber es gibt schon noch genug Spieler mit genügend Zweitliga-Erfahrung, die ihn ersetzen können.

Mit welcher Marschroute dürfte André Hofschneider sein Team am Bölle ins Spiel schicken?
Das ist eine gute Frage. Ich vermute, dass er wieder auf die Dreierkette beziehungsweise gegen den Ball auf die Fünferkette setzt. Der entscheidende Aspekt dürfte sein, was Darmstadt in dem Spiel vorhat. Denn Union kann in der Partie theoretisch das machen, was sie fast die gesamte Saison nicht machen konnten, nämlich abwarten und Darmstadt die Initiative überlassen. Mit Steven Skrzybski und Simon Hedlund gibt es zwei sehr schnelle Offensivspieler, die in den Raum hinter der Darmstädter Abwehr laufen könnten. Außerdem ist mit Kenny Prince Redondo wohl der schnellste offensive Unionspieler nach monatelanger Verletzung zurück. Geht das Spiel Unentschieden aus, ist das für Union wohl weniger dramatisch als für Darmstadt. Stichwort: Hauptsache nicht verlieren.

Besten Dank für Deine Ausführungen, Sebastian!


Auf die Ohren: Der Lilien-Podcast

Mike, Daniel, Christian und Kai befasst sich in dieser Woche ohne mich mit dem Zustand der Lilien. Was sie vom Auftritt in Sandhausen hielten und wie groß die Hoffnung auf den Klassenerhalt ist, das hört ihr in der Folge mit dem passenden Namen: „Don’t talk, just score!“ (KLICK)


Gleiche Liga, gleicher Spieltag: Saison 2014/15

Quelle: kicker

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