Christian Demirtas: „Wir Aramäer sind enorm fußballverrückt.“

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Christian Demirtas (Quelle: Würzburger Kickers)

Christian Demirtas ist Fußballprofi. Viele werden ihn noch als Erstligaspieler des 1. FSV Mainz 05 kennen. Auch in Jena und Karlsruhe wird man sich noch an den kleinen, dunkelhaarigen Außenverteidiger erinnern, der für beide Klubs die Außenbahn bespielte. Seit 2014 steht er beim Drittligisten Würzburger Kickers unter Vertrag. Was einigen hierzulande allerdings entgangen sein dürfte: 2012 und 2013 spielte er in Schwedens Eliteklasse für Syrianska FC. Ein Klub mit einer aramäischen Identität, genauso wie Christian Demirtas.

Christian, Du bist in Offenbach geboren und Aramäer. Viele werden nicht wissen, was es mit den Aramäern auf sich hat. Erkläre es uns bitte.
Wir Aramäer sind Christen und stammen ursprünglich vor allem aus dem heutigen Irak, Syrien, der Türkei und dem Libanon. Der Glaube spielt für uns eine sehr zentrale Rolle. Jesus hat aramäisch gesprochen. Durch Flucht und Migration leben heute zahlreiche Aramäer überall auf der Welt verstreut. Auch meine Eltern haben ihre Heimat im Südosten der Türkei verlassen. Ihr Geburtsort liegt direkt an der Grenze zu Syrien.

Laut Medienberichten mussten aufgrund des Syrien-Konflikts auch Aramäer ihre Heimat hinter sich lassen und sind nach Europa geflohen. Wie erlebst Du als Aramäer die aktuelle Situation?
Ich halte mich dazu primär über die Medien auf dem Laufenden und tausche mich ein wenig mit meinen Eltern darüber aus. Sie haben eine wesentlich größere emotionale Nähe zu dem Thema als ich und sie halten Kontakt zu Bekannten vor Ort. Da ich durch den Fußball relativ früh auf eigenen Füßen stehen musste, fehlt mir dieser Bezugspunkt ein wenig. Ich war sogar bedauerlicherweise noch nie im Heimatdorf meiner Eltern. Deshalb ist es logisch, dass mein Vater und meine Mutter die Lage vor Ort intensiver verfolgen als ich. Verwandte und Bekannte von uns sind aber immerhin nicht unter den Flüchtlingen.

Dass derzeit so viele Flüchtlinge aus Syrien nach Schweden und Deutschland kommen, liegt auf der Hand, oder?
Ja. Viele Syrer und Aramäer haben Verwandte oder zumindest Bekannte in Deutschland und Schweden. Auch ich habe Verwandtschaft in beiden Ländern. Speziell Schweden ist durch die Auswanderungen in den vergangenen Jahrzehnten zu einer aramäischen Hochburg geworden. Schon als ich 2012 und 2013 in Schweden lebte, kamen aufgrund der aktuellen politischen Lage immer mehr Syrer und Iraker ins Land.

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Jürgen Klopp machte den jungen Christian Demirtas (l.) in Mainz zum Erstligaprofi.

Dass Schweden für euch Aramäer bedeutsam ist, zeigt die Tatsache, dass es in Södertälje, einer 60.000-Einwohner-Stadt westlich von Stockholm, zwei aramäische Klubs gibt. Sowohl Syrianska FC, als auch Assyriska FF wurden in den 1970ern gegründet und spielten beide schon erstklassig. Heute treffen sie in der zweiten schwedischen Liga aufeinander. Welchen Stellenwert haben die beiden Klubs für die Aramäer?
Einen (betont) sehr hohen Stellenwert. Wir Aramäer sind enorm fußballverrückt. Dass es dann zwei aramäische Klubs innerhalb weniger Jahre von ganz unten bis in die 1. Liga schaffen, hat in Schweden für Furore und in Södertälje für Euphorie gesorgt. Sportlich waren beide in den letzten Jahren nicht mehr ganz so erfolgreich. Aber mit beiden Klubs national vertreten zu sein, das hat schon einen großen Stellenwert für uns Aramäer. Das wird in unserer Community sogar weltweit verfolgt.

Wie steht es um die Rivalität der beiden Klubs?
Die gibt es zweifellos. Es geht sogar so weit, dass es Spieler gibt, die niemals zum anderen Klub wechseln würden. Ich selbst konnte die Hintergründe der Rivalität nie so ganz nachvollziehen. Der eine Klub versteht sich eher als syrisch, der andere als assyrisch. Da spielen Politik und Kirche mit rein.  Ich finde das schade. Denn wenn es zwei aramäische Vereine so weit bringen, wie viel wäre dann erst möglich, wenn sie sich zusammentun würden? Wir Aramäer sind ein Volk, das kein eigenes Land hat und wir sind auch nicht sehr zahlreich. Wenn man sich dann untereinander nicht so gut versteht, dann ist das schade. Umso mehr als die Rahmenbedingungen eigentlich ganz gut sind. In Schweden ist zwar Eishockey die Sportart Nummer eins, aber Södertälje verfügt über ein starkes wirtschaftliches Potential. Scania hat seinen Hauptsitz dort. Genauso wie der große Pharmakonzern AstraZeneca.

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Derbytime: Fans von Syrianska bei einem Zweitliga-Duell gegen Assyriska

Wie kam Dein Wechsel zu Syrianska FC zustande?
Zu Syrianska hatte bereits zuvor Kontakt bestanden, der sich aber zerschlug, da ich gerade auf dem Sprung nach Jena war. Der Wechsel kam dann ein halbes Jahr später zustande. Syrianska war zu dem Zeitpunkt im zweiten Jahr Erstligist und das machte es für mich sportlich sehr attraktiv. Dass es sich dann noch um einen der aramäischen Klubs handelte, war natürlich toll.

Wie viele Aramäer spielten seinerzeit überhaupt im Team?
Mehr als die Hälfte aller Spieler waren Aramäer, der Trainer ebenfalls. Wir stammten aus vielen verschiedenen Ländern, es war also ein bisschen Multikulti. Mit dem ein oder anderen stehe ich auch heute noch immer in Kontakt.

Wie würdest Du das Niveau in der schwedischen Liga im Vergleich zum deutschen Ligafußball einschätzen?
Da gibt es mit Malmö, IFK Göteborg, Elfsborg und AIK Solna vier, fünf starke Mannschaften, die ein gutes Zweitliganiveau besitzen. Sie wechseln sich in der Regel als Meisterteams ab. Die Mannschaften hinter der Spitze gehen vom Niveau her eher so in Richtung 3. Liga. Malmö spielte zuletzt immerhin zweimal in der Champions League. Der diesjährige Meister IFK Norrköpping war eine echte Überraschung.

Wie blickst Du auf Deine Zeit in Södertälje zurück?
Für mich war es eine absolut positive Zeit. Es war eine tolle Erfahrung, im Ausland zu leben. Ich habe meine dort lebenden Verwandten viel besser kennengelernt. Sie haben mich toll unterstützt und standen voll hinter mir. Das weiß ich sehr zu schätzen und es war eine sehr, sehr positive Erfahrung. Daneben sind noch viele Freundschaften entstanden. Ich würde es jederzeit wieder tun.

Haben die anderthalb Jahre in Södertälje Dein Aramäisch-Sein für dich stärker ins Bewusstsein gerückt?
Ich habe durch das Fußballspielen relativ  früh viel Zeit außerhalb meines Elternhauses verbracht und mich haben deshalb verschiedene Einflüsse und Ansichten geprägt. Natürlich ist mir das Aramäische in die Wiege gelegt worden, das macht mich stolz und ich bin auch so erzogen worden. Aber da ich früh meinen eigenen Weg gegangen bin, habe ich das nicht so intensiv gelebt. In Schweden konnte ich das wieder ein wenig vertiefen. Es wurde mir noch einmal bewusst, was das Aramäische ausmacht.

Und was ist es?
Neben dem Glauben das Familiäre. Es steht über allem. Wenn jemand Unterstützung benötigt, dann springen die anderen einem direkt zur Seite und sind für einen da. Das zeigt sich auch in der aktuellen Flüchtlingssituation. Sobald es um die eigene Familie und Bekannte geht, dann versucht da wirklich jeder zu unterstützen. Selbst bei mir war es so. Ich kannte meine Großcousinen und Großcousins nur vom Namen, ich hatte sie noch nie gesehen. Und mit dem Tag, mit dem ich meinen Fuß ins Land gesetzt habe, waren sie direkt für mich da. Tag und Nacht. Als ob ich sie schon mein Leben lang kennen würde. Das hat mich fasziniert und beeindruckt. Das hatte ich selbst zuvor vernachlässigt und es war toll auf die Unterstützung der Familie zählen zu können.

Gibt es außer Dir eigentlich noch andere Aramäer, die wir in Deutschland kennen?
Ja, da gab oder gibt es gerade im Fußball einige. Mit Matthias Örüm hat es einer von uns mit Burghausen in die 2. Bundesliga geschafft. Markus Kaya hatte Rot-Weiß Oberhausen als Kapitän in die 2. Liga geführt. Daniyel Cimen hat für die Eintracht gespielt und trainiert heute Rot-Weiss Frankfurt in der Oberliga. Wir beide haben bei der Eintracht in der Jugend ein paar Jahre zusammen gespielt und sind auch in dieselbe Schule gegangen. Hierzulande dürfte noch Sharbel Touma ein Begriff sein. Er hat mal kurz bei Borussia Mönchengladbach gespielt und es sogar bis in die schwedische Nationalmannschaft geschafft.

Du spielst seit letztem Jahr für die Würzburger Kickers. Mir ist aufgefallen, dass Du in dieser Saison nicht mehr regelmäßig zum Einsatz kamst. Warum?
In meinem ersten Jahr lief es richtig gut. Wir waren sehr erfolgreich und sind aufgestiegen. In dieser Saison hatte ich am Anfang meine Einsätze. Zuletzt war das nicht der Fall. Es war die Entscheidung des Trainers. Ich bleibe aber weiter am Ball und lebe meinen Traumberuf. Ich bin jetzt 31 und hatte auch schon eine Phase, in der ich vertragslos war. Ich kann deshalb die momentane Situation ganz gut einordnen. Natürlich will ich immer spielen. Ich bin fit und gebe weiter im Training Gas.

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Mit den Würzburger Kickers setzte sich Christian Demirtas im Sommer 2015 in der Drittliga-Relegation gegen den 1. FC Saarbrücken durch.

Wie siehst Du euren Saisonverlauf? Als Aufsteiger geht ihr auf Platz 11 in die Winterpause.
Vor anderthalb Jahren hat niemand damit gerechnet, dass wir es gleich in die 3. Liga schaffen. Der Klub hatte damals einen Dreijahresplan ausgerufen und wir haben den Aufstieg sensationell im ersten Jahr geschafft. Red Bull hatte dafür mit wesentlich mehr Etat drei Jahre gebraucht. Wir schlagen uns auch dieses Jahr wirklich gut. Es herrscht eine gewisse Euphorie, wir haben einen Zuschauerschnitt von über 5.000 Besuchern und stehen im Mittelfeld der Tabelle, was wir vor der Saison direkt unterschrieben hätten. Alles in allem hatten wir ein sehr erfolgreiches Jahr 2015, zu dem auch ein richtig starkes DFB-Pokal-Spiel gegen Werder Bremen zählte, das wir erst in der Verlängerung verloren haben. Doch die Liga ist wie in den letzten Jahren sehr ausgeglichen. Startet man eine Serie ist man schnell oben, genauso schnell geht es nach unten, wenn man ein paarmal verliert. Wir müssen also weiter hart arbeiten.

Christian, vielen Dank für den Einblick in Dein Fußballerleben. Dir ein frohes Weihnachtsfest und viel Erfolg in der zweiten Saisonhälfte.

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